Du kennst den Red Bull Ring wie kein anderer. Was macht die Rennstrecke aus deiner Sicht so besonders?
Gustl Auinger: Grundsätzlich sind es drei Eigenschaften, die den Red Bull Ring so speziell machen. Erstens ist der Kurs eingebettet in die Natur. Es ist heutzutage nicht selbstverständlich, eine Rennstrecke in solch einem Umfeld zu haben. Zudem ist der Kurs rein auf dem Papier sehr einfach aufgebaut: Es geht die meiste Zeit rechtsherum, dann gibt es ein paar Linkskurven und die Runde ist fertig. In der Realität ist der Red Bull Ring in Verbindung mit seiner Topografie eine einzigartige Kombination aus Stop-and-Go-Charakter und Speed-Kurven. Hier die richtige Balance zu finden, ist für die Rider eine echte Herausforderung, aber auch für die Technik. Und das ist der dritte Faktor: Nicht nur die Piloten sind hier gefragt, sondern gleichermaßen die Techniker.
Was braucht es, um am Red Bull Ring schnell zu sein?
Gustl Auinger: Grundsätzlich müssen die Teams ein Motorrad bauen, das unglaublich gut beschleunigt, weil es doch einige Passagen gibt, wo man aus relativ langsamen Kurven auf höchste Geschwindigkeit beschleunigen muss. Die Power im Motor ist grundsätzlich vorhanden und nicht das Problem, sondern vielmehr die richtige Traktion zu finden. In der Vergangenheit ist der Stop-and-Go-Charakter der Rennstrecke einigen Piloten zum Verhängnis geworden. Denn das Motorrad sollte auch über eine fantastische Bremsstabilität verfügen, damit man gegenüber dem Konkurrenten drei Meter später bremsen kann. Zusammengefasst: Man braucht hier eine Wahnsinnsbeschleunigung, sprich Traktion und gleichermaßen eine Topverzögerung. Auf dem Niveau, auf dem wir uns in der MotoGP derzeit befinden, bedeutet das für die Teams „die Suche nach dem Stein des Weisen“.
Auf keiner Strecke sonst gab es so viele Last-Corner-Entscheidungen wie am Red Bull Ring. Kannst du uns erklären, was es mit T10 auf sich hat?
Gustl Auinger: Das ist gar nicht so einfach zu erklären. Es gibt nur wenige legendäre Kurven, die solch tolle Manöver ermöglichen – zum Beispiel die Zielkurve in Jerez oder die Ziel-Schikane in Assen. Sie alle haben etwas gemein: Das Risiko ist überschaubar. Wenn dein Manöver misslingt, dann stürzt du nicht mit 300 km/h, sondern mit einer Geschwindigkeit, die mancher einfach riskiert. Zum anderen spielen die Track-Limits eine riesengroße Rolle. Die Fahrer wittern sofort Lunte, wenn der Gegner zögert und lieber auf Sicherheit geht. Ich weiß aus meiner eigenen Zeit, dass es Kurven gibt, von denen es heißt: Dort musst du schnell sein, egal wie! Die T10 am Red Bull Ring gehört dazu.
So sehr die MotoGP von Spannung und Show lebt, so wichtig ist auch die Sicherheit der Piloten. Am Red Bull Ring feiert beim CryptoDATA Motorrad Grand Prix von Österreich 2022 die Münzer Schikane ihre Premiere. Was hältst du vom neuen Streckenlayout?
Gustl Auinger: Die Rider haben in der Vergangenheit auf dem Weg zur T3 eine sehr hohe Geschwindigkeit erreicht und dann haben sie versucht – aufgrund dessen, dass es eine Bergauf-Passage ist – zum spätesten Zeitpunkt zu bremsen. Das stellte immer ein hohes Risiko dar, da brauchte nur eine Kleinigkeit schiefgehen. Ich will nicht sagen, dass es eine tickende Zeitbombe war, aber es lag immer etwas in der Luft. Mit der Schikane hat man diese Gefahr entschärft, ohne den Stop-and-Go-Charakter der Strecke zu brechen. Es wird immer Leute geben, die sagen, die Schikane ist super und andere, die meinen, dass die Schikane auf gut Österreichisch ein „Schmarrn“ ist und wiederum andere werden sagen „Friss oder stirb“. So etwas ist immer eine subjektive Geschichte. Aber ich traue mich jetzt schon sagen, dass der Sieger am Sonntag bestimmt sagen wird, dass die Schikane super ist und derjenige, der verliert, mit der Schikane auch gleich einen Schuldigen gefunden hat.
Apropos Sieger. Wer ist dein Favorit auf den Sieg am Red Bull Ring?
Gustl Auinger: Wenn man meinen schlauen Worten von vorhin Glauben schenken mag, dann müsste die Aprilia am besten mit dem Kurs zurechtkommen. Jeder, der hinter dem Bike gefahren ist, hat danach gesagt, dass sie unglaublich stabil ist und sehr sauber in die Kurve dreht – ähnlich wie die Yamaha. Zudem hat sie einen sehr guten Motor. In der Vergangenheit haben wir aber auch gesehen, dass Ducati nicht zu unterschätzen ist. Zudem hat Ducati dieses Jahr schon auf Strecken gewonnen, die eigentlich Yamaha-Strecken gewesen sind. Die Ducati ist sehr komplett geworden, daher würde ich die zwei Italiener vorne sehen. Schwierig wird es für Yamaha, KTM könnte uns überraschen.
Wie hoch stehen die Chancen auf einen dritten Heimsieg von KTM?
Gustl Auinger: Bei einem normalen Rennverlauf wird es für KTM sehr, sehr schwierig, aber nicht unmöglich. Denn KTM ist das einzige Team, das dieses Jahr schon auf dem neuen Streckenlayout gefahren ist. Ich gebe zu, dass ich mir nach der Sommerpause mehr von ihnen erwartet habe, aber es kann sein, dass sie den Fokus nicht auf Silverstone gelegt haben, weil es sowieso nicht ihre Strecke ist, sondern stattdessen alles auf Spielberg gesetzt haben. Aber man darf nicht vergessen, dass es eine große Unbekannte gibt – und das sind die Reifen. Es wird darauf ankommen, wer mit dem Gesamtpaket am besten klar kommt.
Wir haben jetzt einige Punkte angesprochen, auf die sich die Fans freuen dürfen. Warum sollten all jene, die sich noch unschlüssig sind, Tickets sichern?
Gustl Auinger: Man kann mit Gewissheit sagen, dass das MotoGP-Rennen wieder ein Krimi wird, den man auf jeden Fall live sehen sollte. Natürlich sind die Fernsehbilder fantastisch, aber die Stimmung – dieses Vibrieren in der Brust – erlebt man nur vor Ort. Fans erwartet definitiv ein großartiges Erlebnis mit reichlich Rennaction in vielen unterschiedlichen Kategorien. Neben der MotoGP und den Klassen Moto3 und Moto2 sind auch die MotoE und der Red Bull Rookies Cup am Start. Das heißt, die Fans sehen auch die Zukunft der MotoGP.