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Patrick Friesacher über rennentscheidenden „Faktor Reifen“

Der frühere F1-Pilot und Instruktor am Red Bull Ring erklärt den rennentscheidenden „Faktor Reifen“.
Red Bull in der Startaufstellung

Warum performen die Reifen so unterschiedlich? Wie behandelt man sie richtig? Wann wechselt man sie am besten? Und er hat zwei aufregende Vorschläge, um die Rennen noch spannender zu machen. Erstens: Nur mehr die Fahrer sollen entscheiden dürfen, wann sie zum Boxenstopp reinkommen. Zweitens: Mehr Reifenhersteller in der Formel 1 sollen für mehr Zweikämpfe und Speed sorgen.

Was ändert sich beim Österreich-GP im Vergleich zum Steiermark-GP bei den Reifen?

Die Teams haben andere Reifenmischungen zur Verfügung – C3, C4 und C5. Im Vergleich zum letzten Wochenende sind die Reifen also um eine Stufe weicher geworden. Weil Formel 1-Autos auf solche Veränderungen sehr sensibel reagieren, hat das große Auswirkungen auf das Setup. Die Teams haben sich bei den ersten beiden Trainings genau anschauen müssen, wie sich der Reifenverschleiß und der Reifenabbau bei der aktuellen Streckentemperatur entwickelt.

Werden durch die weichere Reifenmischung die Karten völlig neu gemischt?

Nein, völlig neu nicht. Die zwei üblichen Verdächtigen werden wieder vorne sein, Red Bull Racing und Mercedes machen sich den Sieg untereinander aus. Ich glaube, dass Max Verstappen sogar davon mehr profitiert, weil der weichere Reifen seinem Auto mehr entgegenkommt. Für alle anderen Fahrer geht es vor allem darum, sich die vorhandenen Reifensätze klug einzuteilen. Jeder Fahrer hat am Wochenende 2 Mal „Hard“, 3 Mal „Medium“ und 8 Mal „Soft“ zu Verfügung.

Wird das auch an der Boxenstrategie im Rennen etwas ändern? In der Vorwoche war schließlich ein Stopp die richtige Entscheidung.

Die Teams haben am kommenden Wochenende ein bisschen mehr Spielraum und Möglichkeiten. Natürlich hängt viel davon ab, wieviel Performance die neue C-Mischung tatsächlich bringt, aber zwischen einem oder zwei Stopps werden einige variieren.

Wie kann es eigentlich sein, dass die gleichen Reifen auf unterschiedlichen Autos so unterschiedlich performen?

Weil das Setup bei den Autos so unterschiedlich ist. Da geht es um aerodynamischen und mechanischen Grip. Das muss harmonieren, damit die Reifen optimal funktionieren. Aber das kann sich täglich ändern. Du kannst heute ein super abgestimmtes Auto haben und morgen ist die Streckentemperatur nur um 5 Grad wärmer und plötzlich funktioniert das nicht mehr. Darauf müssen die Teams sehr schnell reagieren können.

Und umgekehrt gefragt: Warum performt – so wie am kommenden Sonntag – eine andere Reifenmischung auf dem gleichen Auto so unterschiedlich?

Es ist zwar das gleiche Auto, aber mit einer weicheren Mischung kannst du immer schneller fahren – du hast mehr Traktion beim Beschleunigen, du kannst später bremsen und die Kurvengeschwindigkeiten werden höher. Das ändert alles.

Welche Rolle spielt dabei der Fahrer?

Mehr Grip ist das Beste, was einem Rennfahrer passieren kann. Deshalb will jeder immer nur mit weichen Reifen fahren, weil damit die Rundenzeiten deutlich schneller sind – das können gerne Mal 3 bis 4 Sekunden sein. Aber die weichen Reifen muss man schonen und da sind dann die „Reifenflüsterer“ wie zum Beispiel Sergio Pérez klar im Vorteil. Reifen schonen und trotzdem schnell sein, ist eine richtige Kunst.

Das bringt uns zum Thema Reifenmanagement. Was kann ein Fahrer konkret machen, um seine Reifen zu schonen?

Wenn dieses Kommando von der Box kommt, musst du als Fahrer generell einen Ticken früher bremsen und schauen, dass du Tempo rausnimmst. Wenn deine Reifen am Limit sind, musst du dich einfach ein bisschen zurücknehmen, auch wenn das kein Fahrer gerne macht.

Und wie kann man seine Reifen ins richtige Temperaturfenster bringen?

Pushen! Ganz wichtig ist dabei, wie ich beim Rausbeschleunigen aus den Kurven Gas gebe. Mit durchdrehenden Rädern erhitzen sich meine Reifen natürlich schneller, als wenn ich sauber aufs Gas steige, Traktion aufbaue und den Schwung mitnehme. Zuviel Wheelspin ist auf jeden Fall ganz schlecht für die Reifen.

Wie genau wissen die Fahrer über den Zustand ihrer Reifen Bescheid?

Erstens sieht man als Fahrer auf den Laufflächen, ob man Probleme bekommt. Zweitens spürt man, wenn die Reifen anfangen zu überhitzen. Das Auto beginnt dann zu rutschen, es wird nervöser auf der Hinterachse oder untersteuert beim Einlenken. Und drittens bekommt man natürlich viele Infos vom Renningenieur.

Am Wochenende könnte es regnen. Ist bei Regenreifen oder Intermediates auch ein Management notwendig?

Natürlich, vor allem wenn es abtrocknet und du noch mit Regenreifen oder Intermediates draußen bist. Dann musst du versuchen deine Reifen zu kühlen und die noch nassen Stellen zu finden. Im Dauerregen ist vor allem eine ganz andere Linie notwendig, denn auf der Ideallinie liegt der ganze Gummiabrieb, der im Nassen ziemlich rutschig wird. Deswegen müssen die Fahrer weiter innen anbremsen und die wirklich griffigen Stellen suchen.

Es gibt immer wieder Diskussionen zwischen Fahrer und Box, wann der beste Zeitpunkt zum Reinkommen ist. Wer entscheidet das wirklich?

Im Endeffekt entscheidet das die Strategieabteilung, weil nur sie den Überblick hat. Es muss ja berücksichtigt werden, wo der Fahrer nach dem Boxenstopp wieder rauskommt. Ob er viel Verkehr hat oder freie Fahrt. Es hilft ihm nichts, wenn er neue Reifen bekommt und dann hinter langsameren Autos festhängt.

Im schlimmsten Fall wird der Fahrer overruled?

Ja, das muss so sein. Mir würde es übrigens gut gefallen, wenn es in Zukunft dazu überhaupt keinen Boxenfunk mehr gibt und der Fahrer das selbst entscheiden muss, weil er spürt, dass seine Reifen schlechter werden.

Glaubst du, dass die Formel 1 mit mehr Reifenherstellern noch spannender wäre?

Der Gedanke gefällt mir. Zwei oder drei Reifenhersteller wären eine Konkurrenz, die die Formel 1 belebt – die Fans würden mehr Zweikämpfe sehen und die Rundenzeiten wären noch schneller. Das wäre eine sehr coole Geschichte…

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